Die Welt ist diese Woche in Berlin zu Gast und ich war zum ersten Mal dabei. Auf der ITB, der größten Reisemesse, trifft sich alles, was in der Touristikbranche Rang und Namen hat. „It’s a match!“ rufen in Weinrot gekleidete Studenten, die auf einer Brücke in der Einmarsch-Schneise des Messegeländes stehen. Sie halten ein Plakat auf dem „Du + Air Berlin = Sonne“ oder Ähnliches steht. „Gute Laune!“, trällert eine der Promotion-Damen. Die Mehrheit der in Richtung Messe strömenden Business-Menschen sieht jedoch noch nicht so aus. Etwas zu trockene Luft, etwas zu grelles Licht und weite Strecken, die man auf schicken Schuhen zurückgelegen muss – jeder weiß, dass so ein Messetag auch kein Zuckerschlecken ist.
Aber es lohnt sich: Wenn man noch nie auf der ITB war, hat man wirklich viel zu gucken, selbst wenn man sich nur die Gestaltung der über 10.000 Stände aus mehr als 180 Ländern anschaut. Und da hat natürlich jeder Aussteller so seinen eigenen Stil. Bei den Afrikanern ist es bunt, Tiersymbole und viel Holz sind angesagt. Bei den Arabern glitzert und blinkt es. Dem Gast wird frischer Tee in kleinen, dickbäuchigen Gläsern gereicht. Ägypten stellt sogar Pyramiden aus Pappe auf, um den Blick der geschäftigen Passanten zu fesseln. Bei den Deutschen hingegen geht es eher dezenter zu. Hier sollen offensichtlich die Inhalte für sich sprechen.
Mir war zum Beispiel gar nicht so bewusst, dass es Reiseanbieter gibt, die sich speziell auf Angebote mit hochkulturellem Schwerpunkt spezialisiert haben. Um die stilvoll bestuhlte Culture Lounge herum stellt sich auf der ITB etwa Kassel als documenta-Stadt vor und Besucher erfahren von den Schlössern, Burgen und Naturdenkmälern der einstigen Fürstenfamilie Esterhazy unweit von Wien. Zufällig gehe ich auch an dem großzügig dimensionierten Hamburgstand vorbei und zwar genau in dem Moment, als diverse Fachmessebesucher bei einer Hamburg-für-Olympia-Aktion mitmachen. Sie schwenken Flaggen dafür, um die Hansestadt im Rennen um das beliebte Sportereignis zu supporten. Die Fotografen sind begeistern. Dazu spielt eine Band.
Zwar fühlt sich sicher ein wenig als Außenseiter, wer seinen Tag nicht mit Geschäftsmeetings durchgetaktet hat, doch an der ITB hat mich vor allem das internationale Flair des Events begeistert. Da stehen tatsächlich Tourismusvertreter aus dem Irak, dem Iran, Jordanien und Swasiland, um den reisefreudigen Deutschen (Privatbesucher kommen übrigens erst am Wochenende auf die Messe) ihr Heimatland schmackhaft zu machen. So sage ich „Excusez“, als ich zwei Franzosen überholen will und gucke einem Scheich in die Augen, der mit seiner Frau ins Taxi steigt. Darf man das überhaupt? Auf dem Messegelände überlege ich, wie wohl die belgischen Trüffeln schmecken, die ich öfter in den Snack-Bereichen sehe, und freue mich, dass das diesjährige Partnerland, die Mongolei, auch einen eigenen Food-Stand hat.
Die ITB ist toll, um auf Ideen zu kommen und sich bewusst zu machen, was beim Reisen alles möglich ist. Klar, es gibt L’TUR und die Kanaren, die auch ihren Messeauftritt haben, aber es gibt eben auch Destinationen, die mit ganz anderen noch unergründeten Reizen locken. Die Internationalität der Messe zieht sich in meinen Abend hinein. Ich bin bei einem Tweet-up in Kreuzberg angemeldet. „Wenn du wieder Akku hast, musst ich unbedingt wissen, was ein Tweet-up ist“, schreibt mir eine Freundin über WhatsApp. „Irgendwas mit Twitter“, antworte ich und weiß bis jetzt nicht, ob auf der Veranstaltung von iambassador im INFARM, einer kreativen Eventlocation, die zugleich Forschungsstelle für vertikale Landwirtschaft ist, wirklich irgendwer getwittert hat.
Völlig durchnässt von Schneeregen komme ich gestern Abend bei der vermeintlich coolen After-Show-Veranstaltung an und frage mich zuerst, warum bloß mein Zug erst um 22:55 Uhr wieder zurück nach Hamburg fährt. Doch dann gibt es süße Mini-Burger, mit Scones-Teig, Schafskäse und einem leicht scharfen Salatblatt in der Mitte. Es gibt Blogger und an Bloggern Interessierte, die sich in allen möglichen Sprachen über alles Mögliche unterhalten und dann gibt es eine wirklich klitzekleine Präsentation der Veranstalter, inklusive der Verlosung einer Reise. Gastgeber bzw. Partner ist Málaga.
Zum Schluss steigt der Bürgermeister der spanischen Stadt höchst persönlich auf einen Holzstuhl, um von allen gesehen zu werden und Glücksfee zu spielen. Ich verstehe ihn nur zum Teil, auch wenn ich weiß, dass er Englisch spricht. Doch der alte Herr ist so sympathisch, dass ich ihm trotzdem fast glauben will, wenn er sagt, dass in Málaga „the best people“ leben.
Auch ganz interessant: Das Reiseland Deutschland ruft zu einer Aktion auf, bei der YouTuber Reisefilm-Schnipsel über Deutschland einschicken sollen; und der Südtirol will via Hashtag wissen, was die Blogger in den Tagen der ITB inspiriert (#WasUnsBewegt oder #WhatInspiresMe). Der Tweet-up-Initiator weist in diesem Zusammenhang darauf hin, auf der Messe doch unbedingt die eTravel-Halle 6.1 zu besuchen, in der sich unter anderem Start-ups bei Kurzvorträgen vorstellen. Diese Empfehlung kann ich nur unterstreichen!
Denn in der Halle 6.1 habe ich gestern einiges gelernt oder zumindest interessante Zusammenfassungen gehört. Günter Exel von Tourismuszukunft beispielsweise (ja, Exel, fast so wie das Programm ;-), referierte über Echtzeit-Berichterstattung im Reisejournalismus. Dabei wies er auf die Implementierfunktion von Twitter für Websites sowie das Storify-Widget hin und nannte Tools wie die Kurzvideofunktion von Twitter, die von Instagram und das intuitiv bedienbare Programm Splice für die Montage von Videoclips/Fotos/Audiospuren.
Was für’s Auge sei auch die Präsentation mit Flipboard, wenn es einem nicht auf eine bestimmte Reihenfolge der Bilder ankomme. Facebook und YouTube seien hingegen weniger geeignet, um Echtzeit-Content zu vermitteln. In Echtzeit durften wir Zuschauer übrigens während des Vortrags erleben, wie es aussehen kann, wenn ein Hastag „gekapert“ wird. Unter #ITB posteten plötzlich lauter Aktivisten von den Malediven in die Sozialen Netzwerke.
Neben dem Storytelling hat sich in den letzten Jahren auch die Ästhetik von Bildern geändert. Während Tourismusunternehmen lange Zeit auf hochglanzige Werbebilder setzten sind heute immer mehr individuelle, persönliche Bilder sowie Fotos mit besonderen Perspektiven oder Motiven gefragt, sagt Exel. In die Richtung geht auch der Tenor der Podiumsdiskussion „Innovationen in der Reiseberichterstattung“. Die lange Magazinreisereportage wird es, laut den Panel-Teilnehmern, immer geben, genau wie die Reiseteile in Tageszeitungen – auch wenn diese heute weniger umfangreich sind und von immer weniger Verlagen produziert werden. Gleichzeitig aber gewinnen Blogs, die von der Authentizität ihrer Autoren leben, gerade immer mehr an Bedeutung :-).
Die ITB Berlin läuft noch bis diesen Sonntag, den 08.03., und ist am Wochenende, wie gesagt, auch für Nicht-Fachbesucher zugänglich. Wer also in der Gegend ist …