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FuckUp Night: Richtig schön gescheitert

Manchmal haben wir eine tolle Idee, aber nicht die Zeit, das Know-how oder die Manpower, sie umzusetzen. Und manchmal haben wir das alles nicht und lassen das Projekt trotzdem auf die Welt los. Das kann klappen oder auch grandios scheitern. Bei der FuckUp Night erzählen Unternehmer ganz offen von ihren Misserfolgen. Ich war vorgestern das erste Mal dabei und fand’s ziemlich lustig und lehrreich.

An der Glastür im Inneren des MUT! Theaters klebt ein weißer DIN-A-4 Zettel. „Fuckup“ steht darauf mit einem Pfeil, der nach unten zeigt. (War das Absicht oder nur schlechtes Tesa?) In dem kleinen dunklen Raum mit Bar sitzen schon jede Menge junge und jung gebliebene Leute auf Plastikstühlen. „Schlimm, wie die Hipster-Szene verwässert“, sagt ein Gast später in der Raucherpause mit einem Augenzwinkern. Er umreißt damit ganz gut das Klientel an diesem Abend, das aus vielen trendbewussten Start-up-Köpfen besteht. Aber eben auch nicht nur.

Collegefriends: Frühes Facebook für Ungarn floppt

FuckUp Night Hamburg Collegefriends Andreas KitzingZuerst will Andreas Kitzing, auf Twitter @hsvandreas, über sein geschäftliches Scheitern reden. Sein Projekt trug den Namen Collegefriends. Die Domain wäre heute sicher mindestens 1.000 Euro wert. Noch bevor Facebook so richtig angesagt war – das war zu Zeiten von studiVZ – beschließt Andreas mit einem Kommilitonen ein Netzwerk für Studenten aus Ungarn hochzuziehen. Warum Ungarn? Na weil sich das universitäre Leben hier im Wesentlichen in sechs Universitäten abspielt und die alle in Budapest sind. Von dort aus könnte man außerdem gut ganz Osteuropa „einnehmen“.

Leider floppt das Unterfangen. Nahezu ohne Programmierkenntnisse tüfteln die BWLer an einer Website, die bis zur gebuchten Ungarnreise nicht so richtig fertig wird. Was online ist, hat am Ende etwa 20 Fans (davon 2-3 echte) und wird von den Jungs für knapp 100 Euro auf Ebay versteigert. „Schnell was Schlechtes auf den Markt bringen und dann lernen“, diese Start-up-Formel habe Andreas leider damals nicht gekannt. Heute sei er schlauer und das Programmieren habe er auch gelernt.

Julia Schramm: Piratin fällt ins Medien-Haifischbecken

FuckUP Night Hamburg PiratenBeim zweiten Vortrag wird es politisch. Julia Schramm hat es einst in den Bundesvorstand der Piraten geschafft. Alles was sie sagt, twittert, bloggt ist plötzlich von Relevanz – sowohl für die Parteianhänger als auch für die Medien. Das macht einer Frau, die sich selbst als „Rampensau“ bezeichnet, natürlich nichts, im Gegenteil. Die Wahl zu gewinnen sei ein unbeschreibliches Gefühl gewesen. Doch dann ist da noch die Sache mit Julias Buch „Klick mich„. Auch diese Chance fliegt der digitalen Vielschreiberin quasi zu. Als die Bildzeitung das komplette Manuskript nach Erscheinen jedoch umsonst online stellen will, weigert sich die Autorin. Skandal!

FuckUp Night Julia-Schramm ShitstormEin Verrat an den Idealen der Partei, die gegen das Urheberrecht argumentiert, oder einfach eine Notwendigkeit, um sich neben 40 ehrenamtlichen Wochenstunden in der Politik ein Leben zu finanzieren? „Gier-Piratin“ titelt die Bild und gibt einem Shitstorm gewaltige Schubkraft. Bis heute taucht Julia in der Google-Bildersuche auf, wenn man den Begriff „Shitstormopfer“ eingibt. Aber die Wahlberlinerin lebt noch und sie sagt bis heute, was sie denkt – in ausgewählten, flammenden Worten. Doch sie hat fortan immer den Begriff „Größenwahn“ im Hinterkopf. Damals habe sie die Dimensionen ihrer „Unternehmung“ nicht einschätzen können, sei sich nicht bewusst darüber gewesen, was sie auslösen konnte und mit wem sie sich anlegte. Heute Jagd Julia übrigens für die Amadeu-Antonio Stiftung Nazis im Netz.

betahaus Hamburg: Coworking nearly stops working

FuckUp Night Hamburg betahaus InsolvenzUnterschiedlichste Freiberufler, die auf einer gemeinsamen Bürofläche zusammen arbeiten – im Ausland ist das zum Teil selbstverständlich. Lissabon hat rund 30 offizielle Coworking Spaces, in Hamburg gibt es gerade mal eine Hand voll. Warum das so ist, ist schwer zu sagen. Hamburg ist eben auch nicht Berlin. Zu dieser Erkenntnis gelangt jedenfalls das fünfköpfige Gründungsteam vom betahaus Hamburg, nachdem das Berliner Pendant zuvor einen erfolgreichen Projektstart hingelegt hat. Ist dem gemeinen Norddeutschen das Angebot zu teuer? Will er lieber allein zu Hause arbeiten? Das Rätsel bringt keine Lösung, sondern letztendlich eine Insolvenz.

Doch die Truppe um Lars Brücher, der am Donnerstag vorträgt, reißt das Ruder noch herum. Während des Insolvenzverfahrens gründet das betahaus eine ganz neue Gesellschaft, die die alte schuldenfrei aufkauft. Dass Vermieter und Gläubiger aus Sympathie in dem Prozess immer weitgehend gnädig sind, ist vielleicht Glückssache. In einem neuen Gebäude mit 1.500 Quadratmetern und einem neuen Preismodell steigen die Einnahmen jetzt jedenfalls. Das Flaterate-Prinzip mit Monatspauschale hat man sich aus England abgeguckt und jetzt schauen andere neugierig auf die Hamburger Entwicklung. Mittlerweile nutzen 330 User den Festpreis von 50-75 Euro monatlich.

Andreas Henkel: Insolvenzverwalter redet Klartext

FuckUp Night Insolvenzverwalter Andreas HenkelVon der verhinderten Insolvenz zu Tipps vom Insolvenzverwalter. Zugegeben, Andreas Henkel sticht unter den anderen Vortragenden etwas hervor, in seinem Anzug und der Krawatte, die zum weinroten Corporate Design seiner Kanzlei passt. Dadurch verstreut er am Donnerstag auch eine – vielleicht unfreiwillige –  Prise Humor. „Arschtrocken, supergut, eiskalt“, wie Arnd Klinkhart aus dem Veranstalter-Team sagt, trägt der Angestellte die wichtigen rechtlichen Fakten für insolvenzbedrohte Unternehmer vor. Seine Tipps: von Anbeginn eine gute Strategie haben, erst mal das Risiko minimieren und das Business ggf. nebenberuflich beginnen. Dann niemals Einnahmen mit Gewinn verwechseln und zum „Arzt“ gehen, wenn man noch was machen kann.

FuckUp Night InsolvenzverwalterIn der Regel kämen seine Klienten leider erst um fünf vor zwölf oder sogar fünf nach zwölf zu ihm. Andreas wird übrigens anteilig nach Erfolg bezahlt. Von den ersten 25.000 Euro Betriebsvermögen, die er einholen kann, bekommt er 40 Prozent. Geduldig reagiert der Verwalter auf Fragen, zum Beispiel auf die, warum ein Insolvenzverfahren häufig so lange dauert. Das komme, wenn man Ansprüche einklagen müsse, sagt er und kritisiert gleichzeitig selbst die manchmal unnötig langen Bearbeitungszeiten in seiner Branche. Jetzt wissen wir auch alle, dass „Schutzschirmverfahren“ ein Trendbegriff in der Insolvenzverwalter-Szene ist. Danke dafür, FuckUp Night!

Die FuckUp Night (#FUNHH) findet an jedem zweiten Donnerstag im Monat statt. Eintritt frei, Spenden erwünscht. In anderen Städten gibt’s die Veranstaltung auch, dazu findet ihr verschiedene Gruppen auf Facebook.

 

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