Stellt euch mal vor, eure Eltern würden eure alten Tagebücher finden und darin einfach mal fröhlich herumstöbern. WIE PEINLICH, dachte ich sofort, nachdem ich am Samstag bei der von den clubkindern veranstalteten Tagebuchlesung war. Ich habe die wertvollen Restbestände, die noch in meinem Heimathaus lagerten, inzwischen in Sicherheit gebracht und bin gespannt nachzulesen, in welchem Schreibstil ich selbst als Heranwachsende meine intimsten Geheimnisse verfasst habe.
Die clubkinder, das sind übrigens keine geschäftstüchtigen Teenies, die die ganze Zeit nur Party machen, sondern ein gemeinnütziger Verein, der für den guten Zweck richtig coole Events in Hamburg organisiert. Falls ihr noch nie von der Truppe gehört habt, solltet ihr mal im Internet auf der Website schauen. Eine der erfolgreichsten Veranstaltungs-Reihen ist die, bei der junge Erwachsene private Notizen aus ihrer Kindheit vorlesen, also wie bei einem Diary Slam bloß ohne Konkurrenz-Gedanken. An diesem Wochenende ging das Format bereits in die 13. Runde. Als Location hielt wieder das ehrwürdige Gruenspan her, das alte Theaterhaus mit den wunderschönen Säulen.
Die Schlange vor der Tür des Gebäudes war ungelogen ungefähr genauso lang, wie die, wenn international bekannte DJs im Gruenspan auftreten. Also richtig einmal um die Straßenecke rum. Deshalb waren wir froh, noch zwei der vielleicht einzigen verbleibenden Plätze mit guter Sicht zu ergattern. Licht aus und los ging der Lachmarathon. Wie erkläre ich euch das am besten? In der Jugend anderer Leute Mäuschen zu spielen, ist irgendwas zwischen Fremdschämen, sich selbst wiedererkennen und die Trends vergangener Epochen feiern! Im Anschluss böte sich die 80er/90er-Party im Molotow an, sagt Moderator Jannes Vahl (Titelbild © clubkinder), als gerade kurz die Technik spinnt. Und er hat vollkommen recht, sowas wäre das perfekte Pendant.
Ich hatte ganz vergessen, dass sich die Welt 14-jähriger Mädchen wirklich AUSSCHLIESSLICH um Jungs dreht. Am einen Tag war man offensichtlich „in den“, am nächsten Tag schon wieder in jemand ganz anderen verliebt. Ob er nun Daniel oder Jonas hieß, Plateau-Schuhe oder sonst etwas trug, spielte dabei keine Rolle. Es ist erstaunlich, wie sich die weiblichen Teenies ihrem Tagebuch anvertrauten, gerade so wie einer besten Freundin, wenn sie schreiben „Hey du, ich habe lange nicht von mir hören lassen, ich weiß“, „Ich erzähl dir hinterher, wie das Date war, Ehrensache!“ oder einfach nur „HDGDL“.
Am meisten Spaß haben mir persönlich die Geschichten von Ronja Vahl, Jannes Schwester, gemacht, die die clubkinder Tagebuchlesung ins Leben gerufen hat. Schon in jungen Jahren will sie eloquent schreiben und ist stets um journalistische Detailfreude bemüht. So entnimmt man ihren Tagebuchauszügen nicht nur, wie teuer in den 90ern eine Tüte Popcorn war, sondern auch, dass ein Freund zu ihrem Geburtstag „angekarrt“ wurde. Außerdem hatte sie einst die Idee in einer Gruppe Tat, Wahrheit oder Pflicht zu spielen – aber ohne Tat und Pflicht, sodass in aller Ruhe über „Pubertäres, Perverses und Fieses“ gesprochen werden konnte. Ihre große Liebe hieß damals – zumindest für eine Zeit – Marcelo.
Auch Carolin, die heute zu den Leitwölfinnen der Digital Media Women gehört, glühte einst vor Liebe und musste deshalb erstmal duschen (Zitat). Mit dem Schwarm ihrer Jugend lieferte sie sich heftige SMS-Gefechte vom Handy ihres Vaters aus. Bis ihr Flirt schließlich eine denkwürdige Nachricht schrieb, als das Gerät gerade in den Händen der Eltern war: „Ficken?“. Angeblich nur ein Scherz von einem Freund bzw. Feind des Absenders. Jaja, Kinder können grausam sein!
Falls ihr in den turbulenten Pubertätsjahren etwas zustoßen sollte, hielt Lisa eines Tages vorsorglich ihr Testament in ihrem Diddl-Tagebuch fest: „Mein Geld soll wenn ich sterbe an meine Kinder, Eva, Benno, Andrea, Mama + Papa aufgeteilt werden […]“. In einem Hass-Liebes-Brief schrieb sie sich außerdem ihr Trauma von der Leber, nachdem ihr Schwarm sie einfach fallenließ. Sie folgte damit der Anleitung aus einem Service-Artikel der Bravo Girl zum Thema Liebeskummer. Die beiden Heftseiten hatte sie sorgfältig als Merkblatt zusammengeklebt und schickte sich den Beitrag mit ihrer Freundin immer hin und her. Je nachdem, wer ihn gerade dringender brauchte. Am Ende beschloss ihr Angebeteter auch noch genau diese besagte Freundin anzubaggern. Skandal!
Ihr seht, der Abend im Gruenspan war, rein dramaturgisch gesehen, ein mitreißender. Dazu die sorgfältig ausgemalten Herzchen und sonstige Zeichnungen aus den Tagebüchern, die ab und an über den Beamer an die große Leinwand geworfen wurden – herrlich! Und die 7 Euro Eintritt gingen dank den clubkindern an die Bücherzwerge des Kinderschutzbundes Hamburg, die Kindern von Einwanderern das Lesen und Schreiben beibringen.
Nachtrag: Ich konnte es mir nicht nehmen lassen, eben schon mal in meinen eigenen Tagebüchern zu blättern. Auf fast allen sind übrigens Rosen drauf, anstatt Diddl-Mäuse. (Wahrscheinlich in Anlehnung an meinen zweiten Namen.) Und drinnen: Collagen und Headlines, die mich amüsiert den Kopf schütteln lassen. Kann ich nur jedem empfehlen: Herzerfrischend! Hut ab für die Referenten der 13. clubkinder Tagebuchlesung.