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25 Jahre Deichtorhallen: Picasso & The New Social

Ich bin kein komplett kunstferner Mensch, aber wenn ich mir große Werke so anschaue, wünsche ich mir oft, dass mir der Künstler selbst den tieferen Sinn erklären könnte oder zumindest jemand, der sich mit seinem Schaffen auskennt. Wenn es um Malereien von Monet, Vermeer, Rembrandt und Co. geht, habe ich mittlerweile sogar häufig Déjà-vus. Deshalb renne ich auch nicht mehr in jedem Urlaub bei schönstem Wetter in die großen Galerien – so talentiert besagte Künstler auch waren.

Spannend finde ich allerdings, wie sich zeitgenössische Künstler mit den großen Meistern auseinandersetzen. Gerade jemand wie Picasso, der seinerzeit ein Individualist und Vordenker war, ist da natürlich für Nachahmungen wie geschaffen. Welche Gestalt diese annehmen können, zeigen die Deichtorhallen zum 25-jährigen Bestehen. Happy Birthday an dieser Stelle an eine Institution, die für mich vor allem für tolle Fotoausstellungen steht und ohne die das Einfahren in den Hamburger Hauptbahhof einfach nicht dasselbe wäre. Am Sonntag gab es zum Jubiläum freien Eintritt und extra Programm.

Deichtorhallen

Picasso in der Kunst der Gegenwart

Im frisch sanierten Deichtorhallen-Gebäude, dem mit 3.800 Quadratmetern größten europäischen Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst, schließen wir uns am Sonntag direkt einer der Sonderführungen an. Veronica Beck studiert an der Uni Hamburg Kunstgeschichte und leitet uns durch die Ausstellung „Picasso in der Kunst der Gegenwart„. Sie zeigt uns zum Tag der offenen Tür vor allem Werke, über die sie viel weiß, weil sie die entsprechenden Katalogtexte geschrieben hat.

Deichtorhallen Ausstellung Picasso Alexander WolffDie Begeisterung der jungen Hamburgerin für ihr Fach springt sofort auf die Gäste über. Schon bei dem ersten Werk, das wir gemeinsam anschauen: einem Wandbild von Alexander Wolff, das die Architektur der neuen Deichtorhallen in einem Materialmix mit Textilien reflektiert. Einige Bestandteile sind nur angeklettet. Wolff ist dafür bekannt, dass er manchmal zum Beispiel Aufsichtspersonal dazu auffordert, seine Werke zu verändern. Und wenn er nur einen Stuhl davorstellt, dessen Position beliebig verändert werden kann.

Deichtorhallen Ausstellung Picasso Guernica Robert LongoZu den berühmtesten Picasso-Gemälden gehört das anklagende Bild Guernica aus den 1930er Jahren, das von kriegerischem Leid spricht. Der Besucher schaue bei solchen Gemälden allerdings gar nicht mehr genau hin, weil er sie kenne, sagt Veronica. Um die Aufmerksamkeit der Betrachter wiederzugewinnen und den Blick noch mehr in das Bild hineinzuziehen, hat Robert Longo in seiner eigens für die Ausstellung kreierten Wiederauflage einfach schwarze Balken eingebaut. Diese wirken wie dicke Gitterstäbe. Zudem ist das Kunstwerk aus mehreren schwarzen Bilderrahmen zusammengesetzt, was den Effekt noch verstärkt.

Führung Ausstellung Deichtorhallen Studentin Veronica

Klein aber oho könnte man zu den hier gezeigten Beispielen von Picasso-Rezeptionen sagen. Veronica bleibt vor einem Bild stehen, auf der ein Mann mit einem Papierschild am Flughafen steht. „Pablo Picasso“ steht darauf geschrieben. Der Mann reckt seinen Hals, als ob er auf jemanden wartet, der gleich mit seinem Rollkoffer aus dem Gate kommen müsste. Zu sehen ist der Künstler Jonathan Monk, der schon die Beatles und andere Prominente scheinbar abholen wollte. Durch das Warten auf teilweise bereits verstorbene Idole war ihm die Aufmerksamkeit von Passanten natürlich sicher.

Rachel Harrison widmet sich demgegenüber in einer bunten Strichzeichnung der Gesangsgröße Amy Winehouse. In Ahnlehnung an den picassoesken Kubismus wird diese etwas verschoben dargestellt. Denn die Sängerin habe häufig gewirkt, als sei sie nicht ganz bei sich. Kubistisch gestaltete Tränen rinnen aus den Augen von Francesco Vezzolis Olga Picasso. Auch hierbei zählt die Mehrsichtigkeit. Und nicht zuletzt beeindruckt der Fotograf Sandro Miller mit einem Exemplar aus seiner Foto-Reihe „Malcovich, Malcovich, Malcovich“. Hierfür bat er den befreundeten Schauspieler John Malcovich Ikonen aus der Zeitgeschichte exakt so nachzuahmen, wie sie sich auf ausgewählten Vorlagefotografien zeigten. Mit Belichtungsdetails und allem Schnick-Schnack empfindet der Fotograf die Bilder nach.

Die Ausstellung zu Picasso in der Gegenwart läuft noch bis zum 12. Juli und ist eine wirklich abwechslungsreiche Sache. Ergänzt werden die Bilder durch Kurzfilme und Figuren, wie die des überdimensionierten Picasso von Maurizio Cattelan (s. Titelbild).

The New Social

Im gegenüberliegenden Haus der Photographie ist derzeit die Ausstellung „The New Social“ zu sehen. Sie befasst sich mit den großen Veränderungen in unserer modernen Gesellschaft sowie deren Auswirkungen auf die Menschen – von der Finanzkrise bis hin zur totalen Vernetzung. Die Kernfrage zu den Bildern der jungen europäischen Fotografen lautet: Gibt es einen Ort für diejenigen, die bei all den Entwicklungen außen vor bleiben? Für Obdachlose etwa oder für die wenigen jungen Leute, die noch im kleinen Lettland wohnen bleiben. Sogar Brieftauben sind Gegenstand der Ausstellung. Wo es sie heute noch gibt, werden sie als Renntauben genutzt und wer nicht den direktesten Weg fliegt, landet direkt in der Suppe.Deichtorhallen Ausstellung The New Social Espen RasmussenAlle Künstler, deren Werke gezeigt werden, haben am Projekt European Photo Exhibition Award 02 teilgenommen. Der Norweger Espen Rasmussen, Jahrgang 1976, etwa zeigt Mittellose, die in seinem Heimatort leben. Eine kleine Industriegemeinde etwa 70 Kilometer westlich von Oslo. Hier schaffen sich die Einzelgänger einen Lebensraum, jenseits gängiger Konventionen.

Deichtorhallen Ausstellung The New Social Bournane EngelberthDie Fotografin Paula Winkler stellt sich die Frage, ob sich Geschlechterklischees heute komplett aufbrechen lassen. Ob es denkbar sei, dass der Mann, der maskuline Körper, die Frau als Sexobjekt ablöst? Eine Vorstellung davon, wie dies aussehen könnte, soll ihre Bilder-Serie „Centerfolds“ liefern. Für die Aufnahmen, die wie die Poster in der Mitte einer Zeitschrift zum Herausnehmen geknickt sind, hat sie allerdings eher androgyn wirkende Männer gewählt. Und Linda Bournane Engelberth porträtiert unter anderem homosexuelle Paare aus ihrem Bekanntenkreis in Lettland, die zusammenleben und Kinder haben. Das Glück liegt in dem Moment und in den menschlichen Beziehungen, so die Message.

Deichtorhallen Ausstellung The New Social Kirill GolovchenkoKirill Golovchenko  befriedigt mit seiner Fotocollage den gerade in Zeiten von Social Media potenzierten Voyeurismus des Menschen. Er fotografiert Strandbesucher in intimen Momenten durch den Schwimmring seines Sohnes. Er tut dies ganz bewusst, retuschiert deshalb auch nicht seinen eigenen Daumen weg. Der Schwimmring wird zur Kameralinse, zum Bullauge, zum Guckloch und schützt den Fotografen gleichzeitig bei seinem Schaffen vor missbilligenden Blicken.

Worum geht es im Leben eigentlich wirklich? Mit der Zusammenstellung ist den Deichtorhallen mit The New Social eine spannende Reflexion auf diese Frage gelungen! Die Ausstellung ist nur noch bis zum 31.Mai zu sehen.

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