„Ich suche nicht die, die unbedingt auf der Bühne stehen wollen. Ich suche Menschen, die etwas Besonderes machen, und das sind oft die Schüchternen“, erklärt Linda Salicka all denen, die am Mittwoch zum ersten Mal bei einer Pecha Kucha Night waren. Elf Presenter haben sich in 20 Bildern mal 20 Sekunden, diesmal im Uebel & Gefährlich, vorgestellt. Weniger gemütlich als beim letzten Mal, als ich eine Pecha Kucha Show im Imperial Theater gesehen habe, aber dafür gab’s Platz für mehr Gäste.
Wer erst unglücklich über einen Platz in den hinteren Reihen auf Bierbänken war, hat erfreut festgestellt, dass die Inspiriertheit der Vortragenden trotzdem so weit reicht. Diesmal gab es neben netten Geschichten auch einige ernste Themen zum Nachdenken. Insbesondere Nummer 5, 7 und 8:
1) Nach San Francisco ziehen
Der erste, der am Mittwoch aus dem Halbdunkeln der Bühne spricht, ist Michael Osei-Ampadu. Lässig erzählt der Fotograf, wie ihm als Norddeutschem die nebelschwangere Luft San Franciscos geschmeckt hat. Eine Stadt, in der Armut und Reichtum nah beieinander liegen, eine künstlerische Metropole, in der jeder alles machen darf und alles sein kann. Warum Michael nicht dort geblieben ist, verrät er in den 6,6 Minuten nicht. Zumindest hat er das Format Open Show mit nach Hamburg gebracht.
2) Hamburg-Tipps geben
„Heute in Hamburg„, genau wie gestern und morgen ist Patrick Henke, der mit seinem Team vor Kurzem eine App für mit Freizeittipps für unsere Stadt herausgebracht hat. 70.000 Facebook-Fans, das ist beeindruckend! Vor allem, da das Projekt aus dem nahezu unbekannten Vorläufer Session Line entstanden ist. Das wiederum entsprang einem Lebensgefühl, das auf einer mehrwöchigen Australienreise erwachsen ist. Ihr habt einen Traum? Dann immer dranbleiben, rät Patrick.
3) Schmuck für den guten Zweck designen
Kathrin Mielke ist einfach süß, darüber sind sich nicht nur die Herren im Publikum am Mittwochabend einig. Irgendwie passt es, dass sie neben Innenarchitektur für ihre Firma NUDE auch Armbänder macht die „Mon Coeur“ heißen. Und die eignen sich besser als Geschenk als jeder Blumenstrauß und jede Pralinenschachtel. Warum? Ein Euro des Erlöses geht an die afrikanische Familie, die den Schmuck herstellt, und die restlichen neun Euro werden in Bildungsprojekte in Afrika investiert. Demnächst kann sogar schon eine Schule von dem Geld gebaut werden.
4) TACHELES reden
Christine Auerbach redet TACHELES! So heißt zumindest das von der ARD und einem Jugendsender des BR unterstütze Online-Portal, für das sie arbeitet. Hochgradig spannend! Ein Portal auf dem Deutsche, Israelis und Palästinenser miteinander in Dialog treten, indem sie sich zu verschiedenen Themen Video-Botschaften hin und her schicken. Liebe, Familie, Hass, Militär – jede(r) hat etwas, was ihn gerade besonders beschäftigt.
5) Wistleblower unterstützen
Prof Dr. Johannes Ludwig macht politisch-soziologisch weiter. In seinem Vortrag geht es darum, warum wir jeden Tag einen Edward Snowden brauchen. Denn Whistleblower sind Menschen, die Schlimmes verhindern. Sie agieren, sie reden, BEVOR Dinge geschehen. Vor den Folgen, wie Mobbing oder Kündigung, sind sie in unserem Land leider nicht geschützt. Anders als Zeugen, die sich erst dann zu Wort melden, wenn etwas bereits Geschehenes ist. Dann sei es allerdings zu spät, so Ludwig.
6) Multimediale Kunst kreieren
Die Designer von „morgen.“ stehen für multimediale Installationen. Eine davon ist für Pecha Kucha hinten im Uebel & Gefährlich aufgebaut. „Schau hin“ prangt als Schriftzug auf einer Leuchtbox, an der man an einer Lasche ziehen kann. Damit wird quasi der Auslöser einer integrierten Kamera gedrückt. Aus einer anderen Box kommt ein Kassenbon mit den selbst geschossenen Fotos. „Selfie-Anteil 30%“ steht auf der anderen Seite der Linse.
Die Betrachter lächeln, auch wenn sie den vorausgegangenen Vortrag vielleicht nur zu 30 Prozent verstanden haben. Die Worte, mit denen „morgen.“ ihre Arbeit erklären sind überlegt, bewerbungsfähig, ein bisschen gedichtartig. Kunst eben, deshalb hört man auch nicht weg.
7) Werbung hinterfragen
Claas-Hendrik Berg ist im Netz The Good Dude und begeistert mit intelligenten Blog-Themen. Er wirft zum Beispiel die Frage auf, ob wir Außenwerbung eigentlich brauchen. Der öffentliche Raum sei doch identitätsstiftend gemeint, ein Ort, mit dem man sich identifiziert und an dem Kommunikation entsteht. Doch heute schaue jeder nur auf sein Handy, um nicht von all den Werbebotschaften penetriert zu werden. Zum Glück gibt es Kreative, die auf Werbebotschaften antworten und sich so ein Stück Welt zurückerobern.
8) Ebola verstehen
Journalistin Amrai Coen ist eine mutige Frau mit einem klaren wissenschaftlichen Interesse. Sie folgt dem Ebola-Virus nach Afrika, um herauszufinden, wie sich der Erreger zuletzt so schnell verbreiten konnte. Blut und Speichel der Erkrankten sind hochgefährlich, besonders bei schon Verstorbenen. Amrai und ihr Kollege können Schlüsselsituationen ausmachen: ein Junge, der sich durch einen Flughund (eine große Fledermaus) infiziert; eine beliebte Heilerin, zu deren Beerdigung Hunderte von Leuten erscheinen; ein Krankenhaus mit überforderten Ärzten. Fürsorge wird zum selbstmörderischen Akt.
9) Genfood aufhalten
Es gibt keine Studien, die nachweisen, dass Genfood nicht schlecht für den menschlichen Körper ist. Ratten haben genmanipulierte Kartoffeln gegessen und sind nach einiger Zeit gestorben. Um auf diese Thematik aufmerksam zu machen, haben Manuela Gangl und Henning Pfeifer eine Partnervermittlung gegründet. Ja genau, Partnervermittlung. Auf dem Online-Portal „Mansanta“, finden Menschen ihr Herzblatt, die aufgrund von Genfood körperliche Mutationen haben. Fiktive Menschen versteht sich. Zu romantischer Musik stellen die Mansanta-Gründer im Uebel & Gefährlich ihre Special-Singles vor.
10) Als Flüchtling durchkämpfen
Umeswaran Arunagirinathan hat nicht nur einen langen Namen, sondern auch eine lange Reise hinter sich. Als kleiner Junge kam er in den 90er Jahren allein über verschiedene afrikanische Staaten via Spanien nach Deutschland. Seine Eltern hatten einen Schlepper engagiert, um ihn aus dem Land zu bringen und ihm ein besseres Leben zu ermöglichen. Umeswarans Geschichte steht für die von vielen und macht das derzeit omnipräsente Flüchtlingsproblem endlich persönlich.
Der junge Mann spricht fließend Deutsch, trägt eine Cappy und erzählt, dass er Arzt in Eppendorf ist. Von allen Presentern erntet er bei Pecha Kucha am Mittwoch den lautesten Applaus. Es ist ein anerkennendes Klatschten für jemanden, der bei uns Abitur gemacht und als Landesschulsprecher gegen die eigene Abschiebung andiskutiert hat. Um Herzchirurg zu werden, ist der Wahl-Hamburger gerade auf dem Sprung nach Franken. „Aber ich komme wieder“, verspricht er. Für seinen Traum müsse man örtlich flexibel sein, sagt Umeswaran. Diese Weisheit bekommt aus seinem Mund eine ganz andere Tiefe!
11) Durch die Stadt aalen
An der Seite von Männern, die sich Aaldi oder Dr. Aalban nennen, aalt Oliver Bartelds durch Metropolen. Das heißt, er KRIECHT irgendwo auf dem Fußboden entlang und nimmt das Ganze auf Video auf. Die Community der Aalboys ist klein, männlich und in gewisser Weise „anti“. Eine Bewegung, die sich bewusst von bereits mainstreamisierten Subkulturen abgrenzen will. Zum Teil setzt sie sich aus Personen zusammen, die vorher Teil der Graffiti-, Skater- oder Parcours-Szene waren. Jedes Mitglied hat natürlich eine Facebook-Fanpage und versucht die anderen zu übertrumpfen. Wer aalt wohl zuerst aus der Elbphilharmonie?
Die Halbzeit-Pause hat den Pecha-Kucha-Gästen übrigens die Band Liza & Kay mit melodisch-verspielten Klängen versüßt.
Und: Welches Thema der Veranstaltung findet ihr am spannendsten? In 3-4 Monaten findet die nächste Pecha Kucha Night Hamburg statt. Seid dabei!
Alle Fotos © Pecha Kucha Nights