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Harter Tobak: Hate Poetry

Es ist wirklich nicht einfach, die Veranstaltung Hate Poetry zusammenzufassen, bei der im Rahmen der Langen Nacht der Zeit „die krassesten Leserbriefe und schlimmsten Drohmails“ vorgetragen wurden. Seit genau einer Woche wabert jetzt die erschreckende Erkenntnis in mir, dass es nicht wenige in Deutschland lebende Menschen mit fremdenfeindlichem Gedankengut gibt.

Ok, dass sie existieren, war irgendwie klar, aber am letzten Donnerstag wörtlich zu hören, wie sie sich gegenüber Redakteuren großer deutscher Medien äußern, war doch noch einmal etwas anderes. Nur weil die Schreiberlinge einen anders klingenden Namen und Wurzeln in anderen Kulturkreisen haben, sind sie in ihrem Arbeitsalltag ständig Beleidigungen und Belehrungen ausgesetzt.

Vielleicht war ich auch vor allem deshalb so überrascht darüber, weil ich keine Ahnung hatte, dass der Fokus des Hate Poetry Slams auf dem Multikulti-Aspekt liegt, sprich, dass es sich um eine Antirassistische Leseshow handelt. Gebetsgesangartige Klänge tönen am Donnerstagabend durch den stockdunklen Mojo Club, als ich versuche einen Platz auf den Stufen im oberen Geschoss zu finden oder überhaupt erstmal irgendetwas zu sehen.

Hate Poetry Hamburg 2015 Mojo Club

Autoren von Spiegel, Spiegel Online, ZEIT, Frankfurter Rundschau, Tagesspiegel u.a. zitieren ihre Leser

Dass die meisten Gäste stehen müssen, sei nicht so gedacht gewesen, „alle Beschwerden bitte an den Veranstalter“, dringt es durch das Mikrofon. So ein Ausspruch ist aber auch nicht die feine, professionelle Art, denke ich verwundert über die Moderatorin Ebru Tasdemir von der taz. Oder gehört der sarkastische Ton etwa schon zum Programm?

Tasdemir sitzt mit fünf weiteren Journalisten an einer langen Tafel, die Alditüten, Flaggen und Politikerporträts schmücken. Der Reihe nach lesen die Autoren kritische Leserzuschriften vor. Dabei gibt es verschiedene Kategorien, die Namen wie “Sehr geehrter Herr Arschloch, liebe Frau Fotze“ tragen. Durch Applaus entscheidet das Publikum am Ende jeder Runde, wer den krassesten Kommentar bekommen hat. Gar nicht so leicht zu entscheiden bei Lesermeinungen wie diesen:

Da wird einem Redakteur mit türkischem Namen unterstellt, er könne nicht objektiv über den Islam berichten. „Geh endlich sterben, du Dreckskanake“, schimpft ein Leser. „Überall wo Moslems sind, wird es scheiße“, heißt es von Seiten eines anderen. Und ein Dritter hat eine ganz ausgefeilte Rechnung parat: Rein rechnerisch würden 50 Prozent aller Türken von den Huren einstiger Soldaten abstammen, sagt er.

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von l. nach r.: Mely Kiyak (Frankfurter Rundschau, Berliner Zeitung u.a.), Hasnain Kazim (Spiegel-Korrespondent in Istanbul), Moderatorin des Abends: Ebru Tasdemir (taz)

„Wieso beschmutzt du dein Vaterland“, hagelt es aber auch Kritik von den eigenen Volksgenossen. Ungefragt wird beispielsweise Özlem Gezer, eine türkisch stämmige Autorin des Spiegels geduzt: „Lass das, Özlem!“ verlangt jemand. Auch die Frage, wer Gezer bezahle bleibt nicht aus: „Steckt da die europäische Zinslobby dahinter?“

Einem weiteren Autoren in der Runde wird gewünscht, dass man ihn vergase wie damals die Juden und er am Ende als Rauch aus dem Schornstein emporsteige. Einige Leser der Frankfurter Rundschau wiederum fordern die „Absetzung“ der langjährigen Kolumnistin Mely Kiyak. Einer von ihnen droht mit der Abo-Kündigung, wenn dies nicht innerhalb einer bestimmten Frist geschehe. Wegen Kiyak werden sogar Abos von Magazinen gekündigt, für die sie nie gearbeitet hat.

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von l. nach r.: Mohamed Amjahid (Tagesspiegel), Özlem Gezer (Spiegel), Yassin Musharbash (DIE ZEIT)

„Dieser Beitrag ist mir zu differenziert“, bekommt Redakteur Mohamed Amjahid in einer Mail vorgeworfen. Der Tagesspiegel-Volontär sahnt übrigens in der oben erwähnten Kategorie den lautesten Applaus ab. Als Belohnung darf er sich über ein kiezig blinkendes Döner-Schild freuen. Zwischen all den Pöbeleien regnet es beim Hate Poetry Slam übrigens auch Konfetti und Bonbons. Es werden Bananen an das Publikum verteilt und Weingläser geleert. Das passt zum theatralischen Vortragsstil, in den die Lesenden jede Menge Witz hineingeben.

Hate-Poetry-Hamburg-2015-2Ist Humor also der beste Schutz gegen Angriff? Das Absurde durch seine Absurdität entlarven? Ja, das klingt plausibel und es wirkt auf die attackierten Autoren offenbar befreiend. Über drei Stunden Hate Poetry Hamburg fordern zweifelsohne die Lachmuskeln, sie öffnen Augen, aber erschöpfen den Zuhörer auch. So viel gebündelte Boshaftigkeit sind wir einfach nicht gewohnt!

Wo die hartgesottene Journalistentruppe als nächstes gegen den Rassismus in Deutschland anliest, seht ihr auf hatepoetry.com. Nach Hamburg kommt sie sicherlich auch mal wieder, schließlich leben wir in einer weltoffenen Stadt, oder? Was haltet ihr denn von dem Format Hate Poetry?

 

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